Veröffentlichungen

Hier können Sie ein Interview zu meiner Coaching-Arbeit für die Queer Community lesen, veröffentlicht im April 2023 in der Zeitschrift GAB/ männer*.

QUEERE FAMILIENAUFSTELLUNG

von Björn Berndt am 30.März 2023 auf https://www.maenner.media/regional/gab/Menschen%20haben%20identische%20Probleme/ und in gekürzter Printform in: GAB, April 2023

Systemische Aufstellungen – oder sogenannte Familienaufstellungen – sind eine Methode, mit der man für wiederkehrende Problemmuster in Beziehungen, Beruf oder generell im Leben eine Lösung finden kann – der Schlüssel liegt oft in der eigenen Familiengeschichte. Jochen Bickert, auch bekannt als Entertainer und Theaterregisseur Jo van Nelsen, arbeitet seit 15 Jahren als systemischer Coach und bietet als einer der wenigen auch Familienaufstellungen speziell für queere Menschen an. Im April startet eine neue Reihe im Switchboard – wir haben Jochen Bickert zum Gespräch getroffen.


Die Reihe im Switchboard ist für queere Menschen and Friends gedacht; es können also doch auch Heteros teilnehmen?

Ja, es können heterosexuelle Frauen und Männer teilnehmen, die sich in diesem Bereich wohlfühlen. Das war bisher nie ein Problem. Aber trotzdem ist immer klar: Es ist ein geschützter Raum an einem schwul-lesbischen Ort. Ich fand immer, dass das eine so große Möglichkeit zur Verständigung bietet, ohne das Thema der sexuellen Orientierung in den Mittelpunkt zu stellen. Ich finde es gut, wenn wir im Austausch sind. Wir sind alle Menschen, und Menschen haben identische Probleme. Das Sexuelle macht nur einen Bruchteil davon aus. Ich biete im Waldschlösschen seit Jahren auch ganz explizit Aufstellungswochenenden nur für schwule Männer an. Da stand mal zur Debatte, ob man das öffnet; dann kam aber ganz häufig von den schwulen Männern, nee, also, wenn hier Frauen oder sogar Lesben sind, also dann komme ich nicht mehr. Ich akzeptiere das, weil ich auch weiß, dass man sich mehr öffnet, wenn man sich wohl und geschützt fühlt. Aber ich sage auch: Man nimmt sich was. Aber das ist ein Wachsen. Und ich finde es schön. Ich hatte dem Evangelischen Tagungshaus Hohenwart bei Pforzheim eine allgemeine Familienaufstellung angeboten; die haben sich dann gemeldet und meinten, ich würde das ja auch für schwule Männer anbieten, ob ich mir das auch für Lesben vorstellen könnte. Sie hätten so viele lesbischen Gruppen, dann würden sie das gerne auch mal so spezifisch anbieten. Und ich dachte: Guck mal da, da stehe ich mit meinen Vorurteilen gegenüber Evangelischen Tagungshäusern ganz schön alleine da! Also, das ist toll. Also gibt es nun eine Familienaufstellung für Lesben und Schwule im Hohenwart Forum im November 23.


Wieso bietest du überhaupt systemische Aufstellungen explizit für queere Menschen an?

Es geht um den geschützten Rahmen. Das ist der einzige Grund. Einfach um diese erste Hürde zu nehmen, sich mit seinem Problem in einer Gruppe anvertrauen zu können. Eben weil man sich in der Community befindet und an einem Ort, der genau so definiert ist. Das finde ich sehr wichtig.


Funktioniert eine Familienaufstellung auch, wenn man seine Familiengeschichte gar nicht so genau kennt?

Ja, das Wesentliche zeigt sich immer. Wenn jemand nicht so viel über seine Familie weiß, dann sage ich aber immer auch sehr deutlich, dass wir uns im hypothetischen Bereich bewegen. Aber zum Beispiel wird eine Aggression oder Gewalt innerhalb der Familie immer sichtbar werden, ob man das jetzt z.B. dem Großvater mit Fakten zuordnen kann oder sie sich einfach so zeigt, es hat in jeden Fall eine Auswirkung.


Bei Familienaufstellungen geht es um ein allgemeines kollektives Bewusstsein; kannst du aus deiner Coach-Erfahrung sagen, ob Lesben und Schwule Erfahrungen teilen, die heterosexuelle Menschen nicht haben?

Sagen wir mal so: Das kollektive Bewusstsein schließt gerade in Deutschland ganz entscheidend die Nazi-Zeit mit ein. Ich erinnere mich da an eine Aufstellung, witzigerweise in einer gemischten Gruppe mit schwulen Männern, zu der einer ein Thema mitgebracht hatte. Wir sind dann in die Familiengeschichte eingestiegen und landeten bei einer Tante, die als Behinderte innerhalb des Euthanasieprogramms der Nationalsozialisten umgekommen war; er als schwuler Mann hat sich dem so verbunden gefühlt, dass er eine Thematik, die seine Tante nicht ausdrücken konnte, zwei Generation später zum Ausdruck gebracht hat. Und das ist innerhalb einer systemischen Aufstellung dann schon klar, dass jemand mit einem eigenen Randgruppenthema viel geneigter ist, dieses alte Thema aufzugreifen und sich damit unter Umständen ein Problem zu machen. Von daher kann man schon sagen, dass es spezifische Ausformungen gibt.

In meinen schwulen Aufstellungen kommt das Thema „offene Beziehung“ definitiv häufiger vor als bei heterosexuellen Aufstellungen. Wenn also die Beziehung geöffnet wird, und Probleme entstehen, weil der eine dem mehr nachgeht als der andere.

Ein weiteres großes Thema sind immer wieder Kinder in Regenbogenfamilien. Und das ist ein recht schwerwiegendes Thema, weil meines Erachtens da wenig darauf geachtet wird, dass der jeweils andere geschlechtliche Anteil im Leben des Kindes trotzdem vorkommt. Also, wenn Frauenpaare nicht darauf achten, dass es eine männliche Bezugsperson gibt, kommt es einfach ganz schnell zu Problemen. Genauso andersrum, bei schwulen Vätern. Die Bezugsperson muss nicht immer die leibliche Mutter oder der Samenspender sein. Es gibt einfach in der Entwicklung eines Kindes Phasen, wo sich orientiert werden muss. Und wenn dann nicht ein starker Großvater da ist, oder eine Freundin, mit denen das Kind das ausprobieren kann, dann fängt das Kind oft an, die beiden Väter oder die beiden Mütter gegeneinander auszuspielen. Ich weiß, dass ich mich jetzt gerade ziemlich weit aus dem Fenster lehne und dass es politisch gerade nicht erwünscht ist, das so zu formulieren, aber ich finde, es geht um das Kindeswohl. Und da sehe ich noch einen ganz argen Nachholbedarf.


Aber die Kinder sind ja jetzt nicht in deiner Aufstellung …

… nein, aber sie sind oft das Thema, weil sie verhaltensauffällig werden und die Eltern damit Riesenprobleme haben. Ich schaue dann immer phänomenologisch drauf und hoffe jedes Mal, dass es doch etwas anderes ist. Aber es zeigt sich eben leider, dass der Grund der Probleme häufig darin liegt, dass das jeweils andere Geschlecht nicht anwesend ist. Und das ist dann oft tragisch.

Es geht mir hierbei überhaupt nicht darum, ein altes System aufrecht zu erhalten. Ein Kind entsteht nun mal aus einem männlichen Anteil und einem weiblichen Anteil. Und ich finde, das Kind hat immer das Recht, sich zu entscheiden – bloß, wie soll es sich entscheiden, wenn es kein Angebot bekommt? Ich finde, es muss in der ganzen Begeisterung für das Neue bitte mitgedacht werden, dass es einfach Entwicklungsphasen bei Kindern gibt, wo dieses andere Geschlecht wichtig ist. Wie gesagt, es geht mir wirklich nicht darum, ein altes System aufrecht zu erhalten. Und ich würde es auch nicht so vehement formulieren, wenn mir das nicht immer wieder begegnen würde.

 
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